… mit unserem Gesundheitssystem?
Schon vor ein paar Wochen habe ich diese Zeilen verfasst, aber nun passen sie wunderbar zu dem Beitrag von plusminus von Mittwochabend!
In dem Beitrag sind einige Dinge geschildert, die in dem System, das wir zur Zeit haben nicht mehr lange funktionieren werden.
Für mich als „an der Front“ – also in einer Ambulanz arbeitende Ärztin gibt es mehrere Dinge, die ärgerlich sind und die das Gesundheitssystem auf eine sehr harte Probe stellen und es zu Veränderungen zwingen.
Mich persönlich erstaunen und ärgern besonders die Leute, die keinerlei Gefühl für Ihren Körper haben. Das sind besonders die jungen Leute zwischen 16 und 40, die keine Ahnung davon haben, ob Krankheiten oder Verletzungen als Schlimm einzuschätzen sind oder nicht.
Die dann in Kombination mit dieser Unwissenheit auch noch ein wahnsinnig großes Sicherheitsbedürfnis haben und Dinge dringend mal abklären müssen oder um „mal eben Sicher zu gehen“ in die Notfallambulanz kommen.
Viele meiner Kollegen – mich eingeschlossen – sind sicher unter anderem aus dem Grunde Arzt geworden um den Menschen, die eben nicht mehrere Jahre diese DInge studiert haben, mit unserem Wissen weiterzuhelfen… – das machen wir gerne und auf hohem Niveau.
Aber muss man deshalb seinen gesunden Menschenverstand und seine Eigenverantwortlichkeit an der Anmeldung abgeben? Und enthebt die Tatsache, dass es Kinderärzte und Krankenhäuser gibt, Eltern von der Aufgabe, sich mit den rudimentären Grundlagen der Gesundheit und vielleicht auch der Krankheiten von ihren Kindern zu beschäftigen? Und diese Grundlagen zum Verständnis des menschlichen Körpers an Ihre Kinder weiterzugeben?
Ich mag privilegiert aufgewachsen sein (ja! ich habe 2 Akademiker als Eltern – nein, beide haben nichts mit Medizin zu tun!) aber ist es wirklich zu viel verlangt zu verstehen, dass ein Finger, auf den man draufhaut, oder der Fuß, den man umknickt,dick und blau werden darf und man den betreffenden Körperteil dann am besten kühlt?
Ich denke nicht. Aber da muss sich von Klein auf etwas tun. Und zwar nicht in den Schulen durch Gesundheitserziehung oder Ernährungslehre (ist auch nicht schlecht -hatten wir aber früher auch nicht), sondern in der Familie. Ich bin sicher kein stupider „Früher-war-alles-besser“-Wiederholer – aber das war früher wirklich besser…
Darüber hinaus sind da, wie in dem Beitrag kurz geschildert, die Menschen, die für sich selber einen Anspruch auf sofortige umfassende Medizinische Hilfe erheben. Zu jeder Zeit. (Ob man diesen Anspruch auf Grund von jahrelangem Einzahlen in die Krankenversicherung vielleicht sogar als gerechtfertigt ansehen mag steht auf einem anderen Blatt…)
Aber dass diese Versorgung dann tatsächlich mittlerweile sehr oft in der Notfallambulanz stattfindet, überschreitet die Kapazitäten derselben. (und wie in dem Bericht erwähnt auch die finanzielle Belastbarkeit)
Und ich kann noch nicht mal all diesen Leuten einen Vorwurf machen! Was würde ich denn tun, wenn ich Schmerzen hätte, keine Ahnung warum, keine Ahnung was ich dagegen machen kann und mein Orthopäde nimmt mich erst in zwei Wochen dran. Oder ich setze mich stundenlang ab morgens um sieben vor dessen Praxis und warte (obwohl ich 2 kleine Kinder habe und endlich einen neuen Teilzeitjob, den ich nicht verlieren will). Da gehe ich doch lieber abends um 8 oder am Wochenende in die Ambulanz.
Das kann ich verstehen!!!
Aber da stimmt doch was nicht!
Da fehlen uns auch einfach die Kapazitäten! Die Räume! Die Manpower (ähem – und Frauenpower – bevor ich hier noch von Feministinnen angegriffen werde )!
Das führt dann am Ende sogar zu solch absurden Dingen, dass Patienten, die im Wartezimmer zu lange warten (oder meinen, dass es zu lange ist) – nach Hause fahren und von dort die 112 anrufen um mit dem Rettungswagen in die Ambulanz gebracht zu werden, damit sie endlich drankommen! KEIN WITZ!!! (klappt aber nicht wirklich)
Jetzt mag man natürlich sagen: Wie dreist ist das denn??? Und das trifft sicher für viele Menschen auch zu – jedoch gibt es auch andere, die sich wirklich nicht anders zu helfen wissen als zu solchen Mitteln zu greifen.
Was läuft da falsch?
Die Anlaufstelle für diese Menschen fehlt in unserem System! Menschen, die zu krank sind für den KV-Dienst aber noch lange kein Notfall. Menschen, die vom KV-Arzt zum „Zur Sicherheit mal Röntgen“ zu uns geschickt werden. Menschen, die einfach nicht wissen, was zu tun ist. Menschen, die unsicher sind, nicht gelernt haben sich bei kleineren Blessuren und grippeähnlichen Zuständen selber zu helfen.
Klar „können“ wir all diese Menschen behandeln. Und das tun wir so gut und so geduldig und so freundlich wir können. Aber oft ist eine Grenze der Belastbarkeit erreicht. Nicht unbedingt nur von uns Ärzten, sondern von allen, die daran beteiligt sind: begonnen bei der Dame an der Anmeldung (meine Bewunderung für jede, der da geduldig und ruhig bleibt – und kein Magengeschwür bekommt!) über das Pflegepersonal bis hin zu den RöntgenassistentInnen.
Wie sollen wir Notfallambulanz und Grundversorger gleichzeitig sein? Ist das von der „Politik“ gewollt? Und wie würde das aussehen?
Mit der derzeitigen personellen und räumlichen Infrastruktur der Notaufnahmen, die ich bisher kennengelernt habe ist das so sicherlich nicht gut möglich.
Ich bin gespannt, was sich bei diesem Thema weiterhin tut und wie unser Gesundheitssystem organisiert ist, wenn ich mit 67 (oder 70 – oder so…) in Rente gehe…
Bis dahin: Bitte wenden Sie sich bei Fragen zu Risiken und Nebenwirkungen, eingewachsenen Zehennägeln, Kratzern, Husten, Schupfen, juckenden und brennenden Mückenstichen, Kindern die von Dingen runterfallen oder Aua sagen und bei jeder Art von Muskelkater an Ihre Notfallambulanz!
Traurig, aber so ist es! Manchmal hilft bei „aua“ auch trösten, kühlen und abwarten!
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